Erfahrung schlägt Jugend – Christian Ambühl über Weisheit, realistische Ziele und den Mut zu neuen Herausforderungen.
Viele ehemalige Spitzensportler hören nach dem Ende ihrer aktiven Karriere komplett mit dem Wettkampfsport auf. Nicht so Christian Ambühl: Der ehemalige Biathlon-Nationalmannschaftsathlet und Schweizermeister nimmt auch mit über 50 Jahren noch „verrückte Wettkämpfe“ in Angriff. Seine Haltung hat sich verändert, nicht seine Bereitschaft zur Herausforderung. „Hier gilt für mich das Durchhalten und nicht mehr die Platzierung, auch wenn ich es mit meinem Ehrgeiz noch möchte“, beschreibt er selbst seine heutige Motivation. Diese ehrliche Reflexion über veränderte Prioritäten bei gleichbleibender Leidenschaft ist bemerkenswert. Als Polizeichef der Polizei RONN mit hoher beruflicher Verantwortung fehlt die Zeit für Training auf Spitzensport-Niveau. Dennoch bleibt der Sport integraler Bestandteil seines Lebens – als Ausgleich, als mentale Herausforderung und als Quelle persönlicher Weiterentwicklung.
Die Fähigkeit, Ziele an veränderte Lebensumstände anzupassen, ohne den inneren Antrieb zu verlieren, zeichnet reife Persönlichkeiten aus. Der Sicherheitsexperte Christian Ambühl demonstriert diese Balance eindrucksvoll: Mit einer sportlichen Vergangenheit als Mitglied der Schweizer Biathlon-Nationalmannschaft, Schweizermeister im Sprint, mehrfacher Sieger im Militärwintermehrkampf, Ironman-Finisher und Absolvent eines 24-Stunden-Rennens hätte er allen Grund, sich auf vergangenen Lorbeeren auszuruhen. Stattdessen sucht er weiterhin die Herausforderung – allerdings mit einer gereiften Perspektive. Die ehrliche Selbsteinschätzung „Der Kopf will, aber der Körper sagt: Was willst du von mir?“ zeigt keine Resignation, sondern Weisheit im Umgang mit natürlichen Veränderungen. Diese Fähigkeit zur realistischen Selbstreflexion bei gleichzeitiger Beibehaltung hoher Ansprüche prägt auch seine Führungsarbeit als Geschäftsführer der Polizei RONN. Die Lektionen aus dem lebenslangen Sport – Disziplin, Durchhaltevermögen, realistische Zielsetzung – fließen täglich in seine berufliche Verantwortung ein und machen ihn zu einem glaubwürdigen Vorbild für sein Team.
Inhaltsverzeichnis
Die Kunst der Neudefinition
Von Podestplätzen zu persönlichen Siegen
In jungen Jahren als aktiver Athlet in der Biathlon-Nationalmannschaft war die Zielsetzung klar: Schweizermeistertitel gewinnen, internationale Wettkämpfe bestreiten, sich mit den Besten messen. Mit Erfolg: Schweizermeister im Sprint, diverse Titel im Militärwintermehrkampf, Teilnahme an Militärweltmeisterschaften in Amerika, zwei Sportlerehrungen durch die Stadt Thun.
Diese Erfolge definieren eine Phase des Lebens. Doch Lebensphasen ändern sich – berufliche Verantwortung wächst, die Zeit für intensives Training schwindet, der Körper regeneriert langsamer. Die entscheidende Frage: Hört man auf oder passt man sich an?
Christian Ambühl wählte den Weg der Anpassung. Seine heutige Motivation beschreibt er selbst: Das Durchhalten ist wichtiger geworden als die Platzierung. Der innere Ehrgeiz ist noch präsent, aber die Definition von Erfolg hat sich verschoben. Ein Wettkampf zu finishen, die eigenen Zweifel zu überwinden, sich der Herausforderung zu stellen – das sind die neuen Siege.
Diese Neudefinition von Erfolg ist keine Niederlage, sondern Zeichen von Reife. Es zeugt von Selbstkenntnis und der Fähigkeit, sich an veränderte Realitäten anzupassen, ohne die Kernidentität aufzugeben.
Warum weitermachen?
Die Frage liegt nahe: Warum sich mit über 50 Jahren noch „verrückten Wettkämpfen“ aussetzen, wie Christian Ambühl aus der Schweiz es selbst formuliert? Die Antwort liegt in der Kontinuität der Persönlichkeit. Sport war nie nur Mittel zum Zweck der Medaillensammlung, sondern Ausdruck einer Grundhaltung: Sich herausfordern, Grenzen testen, mental und physisch wachsen.
Diese Haltung ist zeitlos. Sie manifestiert sich in verschiedenen Formen über die Lebensphasen hinweg, aber der Kern bleibt gleich. Heute sind es vielleicht andere Wettkämpfe, andere Ziele, aber die Bereitschaft, sich der Herausforderung zu stellen, ist ungebrochen.
Zudem bietet Sport einen unersetzlichen Ausgleich zu den Anforderungen der Führungsposition. Nach Tagen voller Entscheidungen, Meetings und Verantwortung schafft körperliche Anstrengung mentale Klarheit. Die Einfachheit der sportlichen Herausforderung – einen Berg besteigen, eine Strecke laufen, eine Kletterwand bezwingen – steht im wohltuenden Kontrast zur Komplexität organisatorischer Führung.
Erfahrung als Wettbewerbsvorteil
Was junge Athleten nicht haben
Während junge Sportler physische Überlegenheit besitzen – schnellere Regeneration, höhere maximale Leistungsfähigkeit, geringeres Verletzungsrisiko – verfügen erfahrene Athleten über andere Stärken:
- Körperkenntnis: Jahrzehntelange Erfahrung lehrt, welche Signale ernst zu nehmen sind und wo man pushen kann
- Mentale Techniken: Bewährte Strategien zur Überwindung von Durststrecken und mentalen Blockaden
- Taktische Klugheit: Intelligente Renneinteilung statt impulsiver Kraftverschwendung
- Gelassenheit: Erfahrung schafft Ruhe auch in kritischen Wettkampfmomenten
- Effizienz: Ökonomischere Bewegungsabläufe durch jahrelanges Training
Christian Ambühl kennt seinen Körper nach Jahrzehnten intensiven Sports besser als jeder junge Athlet. Er weiß, wann er pushen kann und wann Zurückhaltung klug ist. Er kennt seine mentalen Tricks, um Durststrecken zu überwinden. Er versteht die Bedeutung von Pacing, Ernährung, Regeneration.
Diese Erfahrung kompensiert nicht vollständig den physiologischen Vorteil der Jugend, aber sie verschiebt die Grenzen des Möglichen. Viele ältere Athleten überraschen in Ausdauerwettkämpfen durch kluge Renneinteilung und mentale Stärke, während jüngere Konkurrenten durch Übermut scheitern.
Mentale Stärke durch Lebenserfahrung
Die Kombination aus sportlicher Erfahrung und beruflicher Verantwortung schafft eine besondere Form mentaler Stärke. Christian Ambühl weiß, wer als Einsatzleiter bei der Polizei Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen treffen musste, wer als Stabschef im Corona-Sonderstab unter enormem Druck agierte, wer als Polizeichef strategische Verantwortung für einen interkommunalen Verband trägt – der hat eine mentale Resilienz entwickelt, die sich auch im Sport auszahlt.
Die Fähigkeit, in schwierigen Momenten eines Wettkampfs ruhig zu bleiben, die Situation zu analysieren und die beste Strategie zu wählen, ist direkt übertragbar. Stress ist Stress – ob bei einem kritischen Polizeieinsatz oder bei Kilometer 30 eines Ultramarathons, wenn die Beine schwer werden.
Christian Ambühl: Sport als Lebensphilosophie
Christian Ambühl ist in Davos geboren und aufgewachsen. Sport war von Kindesbeinen an Teil seiner Identität. Die Bündner Bergwelt mit ihren Winter- und Sommersportmöglichkeiten prägte die frühe Sozialisation. Langlauf, Biathlon, später Klettern – die Vielseitigkeit blieb ein Kennzeichen seiner sportlichen Aktivitäten. Heute gehören zu seinen sportlichen Unternehmungen diverse Wettkämpfe in verschiedensten Sportarten sowie Klettern in der Halle und auf Klettersteigen. Diese Vielseitigkeit verhindert Monotonie und trainiert unterschiedliche Fähigkeiten. Klettern schult Konzentration und Körperbeherrschung, Ausdauerwettkämpfe trainieren mentale Härte, technische Sportarten fördern Koordination.
Durchhalten als Kernkompetenz
Der Satz „Hier gilt für mich das Durchhalten und nicht mehr die Platzierung“ beschreibt eine Kernkompetenz, die weit über den Sport hinausreicht. Durchhaltevermögen – Resilienz, Persistenz, Grit – gilt als einer der besten Prädiktoren für langfristigen Erfolg in allen Lebensbereichen.
Christian Ambühl trainiert diese Fähigkeit kontinuierlich durch sportliche Herausforderungen. Jeder absolvierte Wettkampf, jede überwundene Durststrecke, jeder Moment, in dem er weitermachte, obwohl alles in ihm nach Aufgeben schrie – all das stärkt die mentale Fähigkeit zum Durchhalten.
Diese Kompetenz zeigt sich auch in seiner beruflichen Laufbahn: Als Kommandant der Polizei Stadt Grenchen führte er langwierige Projekte durch, etwa die erfolgreiche Sanierung des Rettungsdienstes, bei der ein Defizit von rund 400.000 Franken eliminiert werden musste. Solche Projekte erfordern genau jenes Durchhaltevermögen, das im Sport trainiert wird.
Balance zwischen Ambition und Realismus
Der innere Dialog
„Der Kopf will, aber der Körper sagt: Was willst du von mir?“ – dieser Satz beschreibt treffend den inneren Dialog erfahrener Athleten. Der Ehrgeiz, der jahrelang zu Spitzenleistungen antrieb, verschwindet nicht einfach. Die mentale Einstellung bleibt wettkampforientiert, auch wenn die physische Basis sich verändert hat.
Dieser innere Konflikt ist nicht problematisch, sondern produktiv. Er hält die Spannung aufrecht zwischen dem, was man erreichen möchte, und dem, was realistisch ist. Diese Spannung motiviert zu Training und Vorbereitung, verhindert aber gleichzeitig unrealistische Zielsetzungen, die nur in Frustration enden würden.
Die Fähigkeit, diesen Dialog konstruktiv zu führen, ist eine Form emotionaler Intelligenz. Es erfordert Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, Akzeptanz natürlicher Grenzen und gleichzeitig die Weigerung, diese Grenzen einfach hinzunehmen ohne sie zu testen.
Realistische Zielsetzung als Führungskompetenz
Diese Balance zwischen Ambition und Realismus ist auch eine zentrale Führungskompetenz. Christian Ambühl muss als Polizeichef in Ronn ambitionierte Ziele für die Organisation setzen – Verbesserung der Sicherheit, Effizienzsteigerung, Mitarbeiterentwicklung. Gleichzeitig muss er realistisch bleiben bezüglich Ressourcen, Zeitrahmen und Machbarkeit.
Wer im Sport gelernt hat, ehrlich mit den eigenen Grenzen umzugehen, überträgt diese Kompetenz auf die Organisationsführung. Zu ambitionierte Ziele demotivieren Teams, wenn sie unerreichbar sind. Zu bescheidene Ziele unterfordern und verhindern Entwicklung. Die Balance zu finden, ist die Kunst guter Führung – im Sport wie in Organisationen.
Was andere von dieser Haltung lernen können
Lebenslanges Wachstum statt Stillstand
Die Entscheidung von Christian Ambühl, trotz beruflicher Belastung und natürlicher physischer Veränderungen sportlich aktiv und wettkampforientiert zu bleiben, sendet eine wichtige Botschaft: Wachstum und Entwicklung sind nicht an Lebensalter gebunden.
Viele Menschen definieren sich in mittleren Jahren nur noch über Beruf und Familie und geben persönliche Herausforderungen auf. Das führt zu Stagnation und dem Gefühl, dass „die besten Jahre vorbei“ seien. Die Alternative: Neue Ziele definieren, die zur aktuellen Lebensphase passen, aber weiterhin herausfordern.
Ehrlichkeit schafft Glaubwürdigkeit
Die offene Kommunikation über veränderte Prioritäten und Grenzen macht Christian Ambühl glaubwürdig. Statt den ewig jungen Übermenschen zu spielen, zeigt er: Ich bin ein Mensch mit Grenzen, aber ich gebe nicht auf.
Diese Ehrlichkeit wirkt besonders in Führungspositionen. Teams schätzen authentische Führungskräfte, die eigene Schwächen eingestehen können, ohne dadurch an Autorität zu verlieren. Im Gegenteil: Die Bereitschaft, Verletzlichkeit zu zeigen, schafft Vertrauen und ermutigt auch Mitarbeitende, ehrlich mit eigenen Grenzen umzugehen.
Der Wert von Ausgleich
In Führungspositionen ist die Gefahr groß, sich vollständig vom Beruf vereinnahmen zu lassen. Sport bietet einen essentiellen Ausgleich: körperliche Betätigung als Gegengewicht zur Kopfarbeit, messbare Ziele als Kontrast zur oft abstrakten Führungsarbeit, persönliche Herausforderungen unabhängig von beruflicher Performance.
Der Polizeichef demonstriert: Trotz hoher beruflicher Anforderungen ist Raum für persönliche Entwicklung. Diese Balance verhindert Burnout, erhält die Leistungsfähigkeit und macht langfristig zu einer besseren Führungskraft.
Grenzen sind keine Stoppschilder, sondern Wegweiser
Die sportliche Philosophie von Christian Ambühl lässt sich zusammenfassen: Grenzen zu erkennen bedeutet nicht, vor ihnen stehenzubleiben. Es bedeutet, sie realistisch einzuschätzen und Strategien zu entwickeln, wie man trotzdem weiterkommt – vielleicht langsamer, vielleicht auf anderen Wegen, aber mit gleichbleibender Entschlossenheit.
Diese Haltung – die Kombination aus Ehrgeiz und Realismus, aus Ehrlichkeit und Durchhaltevermögen, aus Akzeptanz natürlicher Grenzen und der Weigerung aufzugeben – ist inspirierend für alle, die sich persönlich weiterentwickeln wollen. Sie zeigt: Erfolg ist nicht an Jugend gebunden. Leistung definiert sich nicht nur über Platzierungen. Wachstum endet nicht mit 50.
Der ehemalige Spitzensportler beweist durch sein Beispiel: Man kann auch in späteren Lebensphasen sportlich aktiv und erfolgreich sein – wenn man bereit ist, Erfolg neu zu definieren. Ein Führungsverantwortlicher mit hoher beruflicher Belastung kann trotzdem persönlichen Ausgleich finden – wenn er es priorisiert. Und jemand, der ehrlich mit seinen Grenzen umgeht, verliert dadurch nicht an Respekt – im Gegenteil, er gewinnt an Glaubwürdigkeit.
Die wichtigste Lektion aus der Lebenseinstellung von Christian Ambühl: Nie ganz aufzuhören, verrückte Herausforderungen anzunehmen, denn genau diese Herausforderungen halten uns lebendig und erinnern uns daran, dass wir mehr können, als wir oft denken.

